Besonders wertvoll durch Empathie und Erfahrung

Burghardt glänzt drei Wochen im Schatten von Porte

Von Felix Mattis aus Morzine

Foto zu dem Text "Burghardt glänzt drei Wochen im Schatten von Porte"
Marcus Burghardt pilotiert BMC-Kapitän Richie Porte (BMC) | Foto: Cor Vos

23.07.2016  |  (rsn) - Normalerweise steht Marcus Burghardt nicht im Rampenlicht. Der im bayrischen Samerberg in der Nähe von Rosenheim lebende Sachse ist ein Helfer, wie er im Buche steht - er ist bei BMC der "Pilot" für Richie Porte, führt den Australier durchs Rennen. Auf der 19. Etappe von Albertville nach Saint-Gervais Mont-Blanc aber war Burghardt dann doch einmal in der Ausreißergruppe zu sehen - und das gleich bei seinem ersten Versuch im Verlauf dieser Tour.

"Es war eine Sache der Positionierung in der Neutralisation", erklärte der 33-Jährige radsport-news.com abends im Hotel mit all seiner Erfahrung. "Ich bin an zweiter Stelle gefahren und als ich gesehen habe, wie eng die Straße ist und dass von Sky und Lotto viele vorne fahren, war klar, dass die Gruppe schnell steht, sobald Thomas De Gendt attackiert, weil die anderen dann 'Barrage' machen."

Und so kam es auch: Schon in der ersten 8,1 Kilometer langen Steigung vom Start weg entstand die 20-köpfige Spitzengruppe des Tages, in der neben Burghardt mit Amael Moinard noch ein zweiter BMC-Fahrer saß. "Über die Berge wäre ich bei Astanas Tempo wahrscheinlich nicht mit drüber gekommen. Da war es von Vorteil, mit zwei Minuten Vorsprung reinzufahren", erklärte Burghardt den Hintergrund der Attacke. Er wollte im Etappenfinale auf den 50 Kilometern nach dem Ehrenkategorie-Anstieg zum Montée de Bisanne noch bei seinem Kapitän Porte sein.

Der Plan ging voll auf: Kurz vor der Bergwertung 1.723 Meter über dem Meer fiel Burghardt in die Favoritengruppe zurück und konnte den 31-Jährigen anschließend wieder so pilotieren, wie er das schon die gesamten drei Tour-Wochen machte. Besonders wichtig war das, nachdem Porte in der langgezogenen Abfahrt bei einsetzendem Regen auf einem rot-weißen, überdimensional groß auf die Straße gemalten Geschwindigkeitsbegrenzungs-Schild wegrutschte und stürzte - direkt vor Burghardt.

"Er ist schnell wieder aufgestanden, hat sein Rad gecheckt und ich habe ihn angeschoben und weiter ging es", berichtete Burghardt. Eine Lücke von rund 30 Sekunden mussten er, Michael Schär und Damiano Caruso anschließend trotzdem für Porte schließen, weil vorne im Feld durch die Tempoarbeit von Astana und Orica-BikeExchange die Post abging. "Dass Marcus durch seinen Sprung in die Ausreißergruppe dann da war, um Richie nach dem Sturz zu helfen, war sehr wichtig", lobte Teamchef Yvon Ledanois den Deutschen.

Angreifen und Gruppen besetzen, das kann Burghardt normalerweise gut. Aber bei dieser Tour gab es dazu einfach nicht die Gelegenheit. Sein BMC-Team startete mit Porte und Tejay Van Garderen als Doppelspitze. "Das heißt auch doppelt so viel Arbeit für uns - klar", so Burghardt. "Wenn man zwei Klassementfahrer im Team hat, ist von Beginn an klar, dass ich nicht in Spitzengruppen gehen kann."

In die Medien schaffte es Burghardt während der Tour trotzdem, als er auf der 9. Etappe in der Abfahrt vom Port de la Bonaigua 130,7 Stundenkilometer auf dem Tacho stehen hatte und die Bild-Zeitung das zum Thema machte. Eine nette Boulevard-Geschichte, für Burghardt aber eher unwichtig. "Für mich zählt, dass ich gute Arbeit mache. Darüber sollte eher berichtet werden", findet er. Die 130 km/h seien zwar hoch, aber keine besondere Errungenschaft: "Wenn man im Feld im Windschatten sitzt und es in der Abfahrt lange geradeaus geht, kriegt man diese Geschwindigkeit ja gar nicht so mit."

Für seine selbstlose Arbeit wurde Burghardt bei BMC bereits vor fünf Jahren in höchsten Tönen gelobt, als Cadel Evans die Tour gewann und den Deutschen beim Lob für seine Helfer besonders hervorhob. "Ohne Marcus hätte Cadel die Tour damals nicht gewonnen", meint Teamchef Jim Ochowicz. Und trotzdem hört man aus dem Umfeld, dass Burghardt in diesem Jahr vielleicht sogar noch stärker war als 2011.

"Für mich war die beste Tour natürlich 2008", so Burghardt selbst in Anspielung auf seinen Tagessieg auf der damaligen 18. Etappe in Saint-Etienne. "Aber wenn man die Leistung sieht, war das hier vielleicht wirklich meine beste Tour. Ich war sehr gut vorbereitet, da muss ich dem Team Kredit zollen. Sie haben mich in die Höhe gehen lassen und ich konnte mich über Luxemburg und Dauphiné ideal vorbereiten."

Und das, obwohl erst fünf Tage vor den Deutschen Meisterschaften Ende Juni endgültig klar war, dass Burghardt in Frankreich starten werde. "Sie hatten im Winter zu mir gesagt, dass es ein Risiko ist und sie mich eventuell nicht mitnehmen, weil die Tour diesmal viel mehr Berge hatte", erzählte er. "Aber ich wollte das Risiko eingehen und mich so vorbereiten, als würde ich sie fahren." Für die Helferrolle an Portes Seite verzichtete er also auf andere, eigene Saisonhöhepunkte.

Burghardt fuhr die Tour Down Under, Paris-Nizza und das Critérium du Dauphiné mit und für Porte. "Es ist wichtig, sich kennenzulernen, um sich auf einen Kapitän einzustellen", so Burghardt über die Schwierigkeiten und besonderen Herausforderungen seines Jobs. "Richie hat aus den Kurven heraus zum Beispiel keinen so brutalen Punch. Deshalb lasse ich mich immer ein wenig von dem vor mir zurückfallen, um dann langsamer zu beschleunigen. Oder auch, wenn wir im Feld nach vorne fahren, trete ich nicht so voll an, wie ich könnte, weil ihn das mehr Kraft kosten würde."

Es braucht viel Empathie, um ein guter Pilot für einen Kapitän im Tour-Peloton zu sein - und Porte weiß, was er an ihm hat: "Marcus ist einer der Besten in diesem Job. Er hat mich aus allem rausgehalten", lobte der Tasmane seinen Helfer. "Und er ist auch neben dem Rad ein toller Kerl, wirklich lustig und wichtig für meine Moral."

Burghardts Arbeit ist trotz aller TV-Präsenz der Spitzengruppen bei der Tour de France für ein Team, das im Klassement vorne landen will, doch wichtiger, als der eine oder andere Ausreißversuch. Auf der 19. Etappe konnte Burghardt beides verbinden - ideal.

Mehr Informationen zu diesem Thema

14.07.2020Video-Rückblick: Froome joggt 2016 den Ventoux hinauf

(rsn) – Heute vor vier Jahren erlaubten staunende Zuschauer am Mont Ventoux das Finale eines denkwürdigen Tour-Tages. Nach einem Sturz im Schlussanstieg der 12. Etappe rannte Chris Froome am Franz

27.07.2016Nibali hatte bei der Tour schon Rio im Blick

(rsn) – Vincenzo Nibali hat verärgert auf die Kritik an seinen Leistungen bei der am Sonntag zu Ende gegangenen Tour de France reagiert. Der Italiener und sein Astana-Team waren ohne Etappensieg ge

26.07.2016Erneuter Tour-Ausstieg der ARD darf kein Thema sein

(rsn) - Drei Wochen Tour de France. Ein paar Tage "als Fan" selbst dabei. Den großen Rest aber am Bildschirm. Bis zum grandiosen Schlussakkord auf den Champs Elysees, gesetzt im "Sprint des Jahres" v

26.07.2016Quintana will weiter für seinen Gelben Traum kämpfen

(rsn) – Kolumbien muss weiter auf seinen ersten Tour-de-France-Sieger warten. Auch im dritten Anlauf hat es Nairo Quintana nicht geschafft – doch noch nie war der Movistar-Kapitän weiter vom Gelb

26.07.2016Künftig ein britisches Duell um das Gelbe Trikot?

(rsn) – Wie sein berühmter Landsmann Bradley Wiggins wird auch Adam Yates in die Geschichtsbücher des Radsports eingehen. War der mittlerweile 36-jährige Stundenweltrekordler vor vier Jahren der

26.07.2016Kittel kam bei der Tour in keinen "richtigen Flow"

(rsn) – Bei André Greipel (Lotto Soudal) lief am Sonntag auf den Champs-Élysées alles nach Wunsch. Wie bereits 2104 gewann der Deutsche Meister die prestigeträchtige Abschlussetappe der 103. Tou

26.07.2016Hektische Sprints und Cavendish machten Greipel das Leben schwer

(rsn) – Nach drei teils frustrierenden Wochen schien für André Greipel (Lotto Soudal) doch noch die Sonne. Am Sonntagabend holte sich der Deutsche Meister in Paris auf den Champs-Élysées den so

25.07.2016Bardet zum dritten Mal in Folge in Paris auf dem Tour-Podium

(rsn) – Romain Bardet hat den heimischen Fans die Tour de France gerettet. Der 25 Jahre alte Kapitän der Ag2R-Equipe legte auf den letzten drei Tagen ein Finale sondergleichen hin, sicherte sich au

25.07.2016Kittel: Erst durch Defekte gestoppt, dann im Finale kraftlos

(rsn) – Zum großen Finale der 103. Tour de France wollten Marcel Kittel und sein Etixx-Quick-Step-Team nochmals zuschlagen. Der Erfurter, der bereits 2013 und 2014 jeweils den Schlussakkord auf den

25.07.2016Jogging-Einlage in Gelb und ein machtloser Herausforderer

(rsn) - Nach drei Wochen Tour de France fallen die Bilanzen der 22 teilnehmenden Mannschaften ganz unterschiedlich aus. Radsport News listet die Erfolge und Misserfolge auf. Wir präsentieren die Team

25.07.2016Dominator in Grün und Schweizer Coup durch einen Kolumbianer

(rsn) - Nach drei Wochen Tour de France fallen die Bilanzen der 22 teilnehmenden Mannschaften ganz unterschiedlich aus. Radsport News listet die Erfolge und Misserfolge auf. Wir präsentieren die Team

25.07.2016Kollision mit dem Teufelslappen und ein fataler Entschluss

(rsn) - Nach drei Wochen Tour de France fallen die Bilanzen der 22 teilnehmenden Mannschaften ganz unterschiedlich aus. Radsport News listet die Erfolge und Misserfolge auf. Wir präsentieren die Team

Weitere Radsportnachrichten

05.05.2024Eine erste Chance für die Sprinter

(rsn / ProCycling) – Nachdem sie sich zwei Tage lang "aufwärmen" konnten, ist es nun für die schnellen Männer des Pelotons Zeit, ihren Job zu verrichten. Bevor sie jedoch ihren ultimativen Zielsp

05.05.2024Radsport live im TV und im Ticker: Die Rennen des Tages

(rsn) – Welche Radrennen finden heute statt? Wo und wann kann man sie live im Fernsehen oder Stream verfolgen? Und wo geht´s zum Live-Ticker? In unserer Tagesvorschau informieren wir jeden Morgen

05.05.2024Pogacar auf den Spuren Pantanis

(rsn) - 1999 hatte Marco Pantani am Fuße des Anstiegs zur Kapelle nach Oropa einen Defekt. Die Kette fiel ihm herunter. Es dauerte, bis ein Materialwagen bei ihm war. Fahrer um Fahrer zog derweil an

05.05.2024Nur ein Defekt bremste Martinez hinauf nach Oropa

(rsn) – Gut fünf Kilometer vor dem Ziel der 2. Etappe am Santuario di Oropa gab es Grund zur Beunruhigung beim Team Bora – hansgrohe. Am Ende des Tages aber sah man nichts als strahlende Gesichte

05.05.2024Martinez: “Das Resultat ist großartig für unsere Moral“

(rsn) – Mit einem Tag “Verspätung“ hat Tadej Pogacar am Sonntag bei der ersten Bergankunft den erwarteten Etappensieg am Auftaktwochenende des 107. Giro d’Italia eingefahren. Am Santuario di

05.05.2024Highlight-Video der 2. Etappe des Giro d´Italia

(rsn) – Zum Auftakt des 107. Giro d’Italia (2.UWT) musste sich Tadej Pogacar (UAE Team Emirates) noch mit Rang drei begnügen. An der ersten Bergankunft jedoch gab es für den Top-Favoriten kein H

05.05.2024Pogacar stürmt in Oropa trotz Sturz ins Rosa Trikot

(rsn) – Marco Pantani triumphierte 1999 an der Wallfahrtskirche Santuario di Oropa dank einer historischen Aufholjagd, nachdem er am Fuße des Anstiegs durch einen Defekt gestoppt worden war. 25 Jah

05.05.2024De Lie in der Bretagne auch durch zwei Plattfüße nicht zu stoppen

(rsn) – Nach Platz zwei im Vorjahr hat sich Arnaud De Lie (Lotto – Dstny) die 41. Ausgabe von Tro Bro Léon (1.Pro) gesichert. Der 22-jährige Belgier entschied in der Bretagne das über 203,6 Kil

05.05.2024Vollering nutzt Rückenwind-Passage zum Vuelta-Triumph

(rsn) – Mit einem weiteren überragenden Auftritt hat Demi Vollering (SD Worx – Protime) die 10. Vuelta Femenina (2.UWT) souverän für sich entschieden. Die 27-jährige Niederländerin schüttelt

05.05.2024Liste der ausgeschiedenen Fahrer / 2. Etappe

(rsn) - 176 Profis aus 22 Teams sind am 4. Mai zum 107. Giro d’Italia (2.UWT) angetreten, darunter auch zwölf Deutsche, vier Österreicher, zwei Schweizer und ein Luxemburger. Hier listen wir a

05.05.2024Pogacar: ”Die Post wird abgehen”

(rsn) – Der Auftakt zum 107. Giro d’Italia ist atypisch. Einen Tag nach der schweren 1. Etappe, auf der bereits einige Favoriten Federn gelassen haben, steht bereits die erste Bergankunft auf dem

05.05.2024Narvaez sorgt für die nächsten rosa Träume in Ecuador

(rsn) – Fünf Jahre ist es her, dass Richard Carapaz das Radsportland Ecuador mit seinem sensationellen Gesamtsieg beim Giro d´Italia in Rosa gehüllt hat. Nun feiern die Nachbarn der Kolumbianer i

RADRENNEN HEUTE

    WorldTour

  • Giro d´Italia (2.UWT, ITA)